Berichte zur Räumung

Der Ort Lützerath ist geräumt und abgerissen, der Bagger frisst sich weiter in Richtung der geretteten Dörfer. Wird er 2030 wirklich stillstehen? 

Das Ausweichcamp in Keyenberg wurde Anfang Februar 2024 abgebaut. Gerichtsverfahren gegen Aktivist*innen aus Lützerath können hier nachverfolgt werden. Wir warten noch weiterhin auf die Verurteilung der Regierungen und RWE: Diese haben Gesetze gebrochen und Grenzen überschritten, die weltweit Menschenleben gefährden.

Einen genauen zeitlichen Ablauf der Räumung findet ihr auf der Seite „Zeitstrahl“.

Fachliche Arbeiten über Lützerath
Ihr schreibt Haus- oder Bachelorarbeiten über Lützi und würdet die gerne mehr Leuten zeigen? Schickt sie uns per Mail.
 
Selbst über Lützerath berichten

Hier findet ihr eine der letzten Präsentationen, die kurz vor der Räumung in ganz Deutschland gehalten wurden: https://luetzerathlebt.info/soli-aktionen/

Lützi News: Wir waren live!

Einmal am Tag haben wir euch live aus unserem Studio über die Räumung berichtet! Das waren Überblicke über die tagesaktuellen Geschehnisse und Live-Schalten zu den Besetzer*innen in Lützerath. Außerdem beantworteten wir eure Fragen rund um Lützi und sprachen über Themen wie Klimagerechtigkeit, Kapitalismus und Polizeigewalt.

Alle Sendungen findet ihr in unserer Youtube-Playlist.

Analyse der Räumung: Entscheidung für Gewalt
 
Das Team vom Grundrechtekomitee war während der Räumung in Lützerath vor Ort und hat folgendes unter Anderem beobachtet:
  • Lebensgefährdende Räumung von Lützerath
  • Verletzung der Versammlungsfreiheit auf mehreren Ebenen
  • Einschräkung der Pressefreiheit
  • Polizeigewalt während Demonstrationen
 
Den ausführlichen Bericht findet ihr hier: Entscheidung für Gewalt
  
Vermeintlicher Grund der Räumung: 
Der genannte Grund für eine Räumung war die von dem Dorf ausgehende „Gefahr für die Energieversorgungssicherheit“: Doch keine Studie belegt das. Im Gegenteil sprechen zwei Studien davon, dass die Kohle nicht zeitnah benötigt wird (siehe unten). Selbst die in 2022 kurzfristig vom Land NRW beauftragten Studien legen nichts in die Richtung nahe und sprechen von einer Inanspruchnahme bis 2030. 
Die Annahmen der NRW-Landesregierung, dass es zu einer höheren Kohleverstromung kommen würde, wurden auch in 2024 durch die nackten Zahlen der verbrannten Kohle widerlegt. Es wurde 2023 und wird weniger Kohle „benötigt“. 
Weitere Fakten findet ihr hier.

 

Studien:
(1) https://coaltransitions.org/publications/gasknappheit-auswirkungen-auf-die-auslastung-der-braunkohlekraftwerke-und-den-erhalt-von-lutzerath/
(2) https://www.bund-nrw.de/fileadmin/nrw/dokumente/braunkohle/221128_EBC_Aurora_Kohleausstiegspfad_und_Emissionen_as_sent.pdNf
(3) https://www.bund-nrw.de/fileadmin/nrw/dokumente/braunkohle/2024-03-24-Prognos-Kohleverstromung-und–veredelung-web.pdf

Storytelling: Was wir mitnehmen aus Lützi.

Kurz nach der Räumung wurde diese Rede geschrieben.

Dieser Text ist geschrieben aus der Sicht einer Person, eine derjenigen, die Lützerath bis zuletzt bewohnt haben, bis die Polizei uns auf das Geheiß der Grünen Partei gewaltsam von dort vertrieben hat, um die Profite von RWE abzusichern. Aus den letzten Tagen gibt es unendlich viele Geschichten zu erzählen und ich teile nur einige wenige. Das Bild, das sich aus diesen Geschichten ergibt, ist sehr deutlich: die Polizei ist überstürzt und gewaltsam vorgegangen und hat an unzähligen Stellen Menschenleben aufs Spiel gesetzt, ganz zu schweigen vom Leben der Tiere und Pflanzen, das einfach brachial zerstört und beendet wurde. Niemals werde ich die Bilder der panischen Eichhörnchen vergessen, die sich anders als wir Menschen nicht ausgesucht haben, einen widerständigen Ort an der Kante der Zerstörung zu bewohnen und die die Räumung wahrscheinlich nicht überleben werden. Die sinnlose Zerstörung der Bausubstanz aus Holz und Stein, in die so viel unserer Liebe für den Ort geflossen ist, ist nicht in der Lage, die dichten und intensiven Erinnerungen zu löschen, die tausende unterschiedlichste Menschen damit verbinden.

Entscheidung für Gewalt
Während der Räumung des Wäldchens wurde das Abspannungsseil eines Baumhauses, das teilweise auf Stelzen stand, an der einen Seite zerschnitten, während auf der anderen Seite ein Mensch mit seinem Gewicht in der gegenüberliegenden Abspannung hing. Daraufhin ist das Baumhaus umgekippt und es war pures Glück, dass der andere Mensch, der sich zu diesem Zeitpunkt im Baumhaus befand, nicht mit dem Baumhaus abgestürzt ist. Aus einer anderen Stelzenhütte wurden Menschen ungesichert aus knapp 3m Höhe einfach runter geschubst, weil den Einsatzkräften die Sicherung zu umständlich war. Mehrfach haben sich Harvester an den Stämmen der Pappeln zu schaffen gemacht, während Menschen in Traversen hingen, die an diesen Stämmen befestigt waren. Andere, die sich in den Kronen der Bäume der Räumung entgegengestellt haben, wurden bei Einbruch der Dunkelheit dort zurück gelassen, nachdem jede Traverse und jedes Kletterseil zerschnitten wurde, über das die Menschen sich von dort hätten weg bewegen können.

Es ist nur den außergewöhnlichen Fähigkeit der dort verbliebenen Menschen zu verdanken, auch in dieser Situation noch rettende Strukturen aufbauen zu können, dass nicht am Ende Menschen, unbegleitet von der Presse, nachts noch aus Entkräftung abgestürzt sind. Alle diese Geschichten sind Beispiele dafür, was uns Aktivist*innen von den Einsatzkräften immer wieder auch ins Gesicht gesagt wurde: dass sie uns absichtlich Angst um unser Leben einjagen wollen. Alleine mir persönlich wurde das von mindestens 5 Freund*innen berichtet und selbst so gesagt. Die Öffentlichkeit erfährt davon selbstverständlich nichts, da es Risse in das Bild der angeblich besonnenen und deeskalierenden Einsatztaktik treiben würde  und was zählt shon die Aussage einer vermummten, aufgebrachten Aktivistin gegenüber der Pressestelle der Polizei.

Selbst für die Cops ist es möglich, sich selbst zu erzählen, sie würden angeblich Leben retten, während sie im nächsten Moment die Traverse durchschneiden, an denen unser Leben hängt. Zu dem polizeilichen Gewaltexzess bei der Großdemo am 14. wurde schon an anderer Stelle viel gesagt. Fest steht: die Polizei lügt, knüppelt und setzt Menschenleben aufs Spiel. Dass Dirk Weinspach immer noch damit durchkommt, der Einsatz sei besonnen oder deeskalierend, ist ein Skandal. Tausende Beamt*innen haben sich aktiv dazu entschieden, bei dem Einsatz den Befehl nicht zu verweigern oder blau zu machen, und obwohl sie damit zeigen, dass sie nicht mehr als gut bezahlte Schlägertruppen sind, gibt es gesellschaftlich immer noch eine Überidentifikation mit ihnen, als stünde ihr Wort über dem von normalen Menschen.

 
Es ist alles schlimm genug, deshalb will ich auch noch ein paar leichtere Geschichten teilen. Die Villaklos standen bis zuletzt. Erst im November gab es eine Petition auf change.org zu ihrem erhalt, weil sie von unserer Infrastruktur AG abbaugefährdet waren. Lang leben die Villaklos!
Der Schlamm war nach vielen Monaten der Hackschnitzellogistik das eine Mal endlich auf unserer Seite – und in den twitter trends! Stay strong allen Mönchen des Schlamms!
An vielen Stellen zeigt sich auch, dass die meisten Securities von RWE im Herzen auf unserer Seite sind. Unvergessen die kleinen Geschichten des Teilens, der Sympathie, des Austausches – und wenn wir uns an die Besetzungen der Häuser erinnern, auch die bemerkenswerten Geschichten der friedlichen Raumnahme, die unsere Autonomie erst ermöglicht hat.
 
Warum wurde Lützerath überhaupt jetzt geräumt? 
Ja, wir alle wissen, dass die Grünen in der Regierungsverantwortung ganz schnell ihre Wahlversprechen gegen die Verbündung mit den Profitinteressen eines Großkonzerns eingetauscht haben, dass die Gutachtenlage klar besagt, dass die Kohle unter Lützerath nicht benötigt wird, aber für ein paar wenige Jahre noch lukrativ ist, und dass der Zeitpunkt der Inanspruchnahme der Kohle unter Lützerath viele Jahre in der Zukunft liegt. Aber neben der Profitgier von RWE und dem Klassenverrat der Grünen liegt es auch sehr nahe, dass die Eile, den Ort zu zerstören, auch daher rührt, dass er als Kristallisationspunkt der Bewegung zu stark geworden wäre. Denn die Geschichte, die der Ort erzählt, ist zu überzeugend und legitim und zu viele Menschen sind bereit, sie zu hören. Auch die Übermacht, mit der der Staat in Lützerath aufgetaucht ist, spricht die Sprache der Angst, nämlich der Angst vor der Widerständigkeit dieses winzigen, und durch seine Offenheit so leicht angreifbaren Ortes.
 
Was hat uns so stark gemacht?
Wir haben spätestens seit der Besetzung der Häuser und Hallen und der Übernahme des gesamten Dorfes eine Autonomie leben können, die anders als die liberale Autonomie des Individuums im Kapitalismus, eben nicht auf Kosten anderer geht sondern den Aufbau von einer herrschaftsfreien Organisierung ermöglicht, in der die Bedürfnisse von Menschen im Mittelpunkt stehen und das Individuum vom Kollektiv getragen wird. Wir haben die Zeit, die wir uns an diesem Ort erkämpft haben, genutzt, um uns mit den sozialen und ökologischen Kämpfen auf der ganzen Welt zu vernetzen, das Wissen über soziale Bewegungen auszutauschen und uns in eine Tradition des Widerstands gegen Kolonialismus und Ausbeutung zu stellen, die von den Kolonisierten seit Jahrhunderten angeführt wird. Nicht zuletzt konnten tausende Menschen hier ganz praktisch erfahren und lernen, was es heißt, sich basisdemokratisch zu organisieren und zusammen zu leben. Viele konnten ihre praktischen und organisatorischen Fähigkeiten für die Kämpfe schärfen, die uns bevorstehen.
 
Was wurde durch die Räumung sichtbar?
– Der Politik ist an den entscheidenden Stellen nicht zu trauen. Sie ist bereit, selbst  ihre eigenen Gesetzen zu brechen, wenn es einen Interessenkonflikt zwischen Kapital und Gemeinwohl gibt, um sich stets für die Kapitalseite zu entscheiden. Das wiederum ist kein böser Wille oder ein Mangel an Aufklärung, sondern entspricht der Logik des Systems, in dem wir leben.
– der Gewaltapparat des Staates dient nur den wenigen in Machtpositionen und hat keine Legitimität (Lügen, Verschleierung der Gewalt)
– Sie haben Angst vor uns, das heißt, es ist kein Ding der Unmöglichkeit, der staatlichen Übermacht und der unmenschlichen Profitlogik des Kapitalismus etwas entgegen zu setzen. Diese Botschaft ist die wichtigste von allen!

Wenn wir uns zusammentun, uns im Widerstand gegen dieses System verbünden und aufeinander Acht geben, dann können wir dieses System ins Wanken bringen! Wir lernen das nicht in der Schule, wir lesen es nur selten in der Zeitung, aber es gibt überall die Risse und Lücken der sozialen Bewegung, der man sich anschließen kann, die man mit aufbauen kann und die seit Jahrhunderten die einzige treibende Kraft für gesellschaftlichen Wandel darstellt. Denn der Kampf ist noch lange nicht vorbei, weder um den Kohleausstieg, aber auch nicht der um ein besseres Leben für alle.

Lützerath hat geblüht, die Welt konnte für einen Moment die Wirksamkeit eines Kampfes und auch die hässliche Logik des Kapitalismus in Aktion bezeugen. Jetzt sind wir die Samen, die ausschwärmen, um den Kampf um ein besseres Leben in andere Böden tragen und neue Blüten hervorbringen. Irgendwann werden wir so stark sein, dass wir unsere Räume auch halten können.

Deshalb: geht raus, nehmt die Erfahrungen von Lützerath mit an eure Orte und organisiert euch! Sei es am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft oder an widerständigen Orten! Denn nur als kämpfende Bewegung, haben wir eine Chance auf Klimagerechtigkeit und ein besseres Leben für alle! Wir haben eine Welt zu gewinnen!