Das bedeutet das neue Versammlungsgesetz in NRW für uns:
Seit Anfang Januar 2022 gibt es ein neues Versammlungsgesetz (VersG) in NRW, trotz zahlreicher Großdemonstrationen dagegen im Vorjahr. Hier findet ihr die wichtigsten Änderungen im Überblick.
Wie das Gesetz durch Polizei und Justiz angewendet wird und was das konkret für uns heißt wird sich im Laufe der Zeit zeigen. Besonders bleibt im Gesetzestext sehr vage, was „tatsächliche Anhaltspunkte“ sind oder was unter einer „Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ verstanden wird. Der polizeilichen Willkür sind deutlich weniger Grenzen gesetzt als bisher.
# zu einer Versammlung (Demo, Mahnwache, Kundgebung etc.) gehen:Aus §15(1) Kontrollstellen
- Die Polizei darf eine Kontrollstelle auf dem Anfahrts- und Fußweg zur Versammlung einrichten, wo dann Personen und Sachen durchsucht werden können, falls ein tatsächlicher Anhaltspunkt besteht, dass folgende Gegenstände auf die Versammlung mitgenommen werden
- Waffen (oder Dinge, die als Waffen genutzt werden können),
- Vermummung; Gegenstände die zur Identitätsverschleierung geeignet sind (z.B. Hassi, Schlauchschal),
- passive Bewaffnung; Gegenstände die dazu geeignet sind sich vor Vollstreckungsmaßnahmen zu schützen (z.B. Sichtvisier/Demokratiebrille, Helm, Polster, Strohsack),
- Gegenstände zum paramilitärischen Auftreten sowie uniformähnliche Kleidungsstücke (z.B. weiße Anzüge)
Hinweis: Wenn wir auf dem Weg zu Versammlungen sind und in eine Polizeikontrolle kommen, können wir fragen, was denn die „tatsächlichen Anhaltspunkte für Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ für diese Kontrollen sind.
Aus §17(1) Vermummung & passive Bewaffnung:
- Es dürfen auf Versammlungen keine Gegenstände am Körper getragen oder mitgenommen werden, die zur Identitätsverschleierung geeignet sind oder zur Abwehr von Vollstreckungsmaßnahmen geeignet sind. (Bsp. siehe oben)
- Siehe §27(7): Das zählt auch für den Weg zur Versammlung
Hinweis: Die oben genannten Beispiele für Vermummung/Widerstandsmaterial wurden in der Vergangenheit häufig als solche in Strafverfahren bezeichnet. Das heißt allerdings nicht dass sie uns immer abgenommen werden oder immer vor Gericht als Beweise standhalten.
Aus §18(1) Uniformierung und paramilitärisches Auftreten
- Es ist verboten an Versammlungen teilzunehmen oder diese zu leiten, wenn das Erscheinungsbild durch das Tragen von uniformähnlichen Kleidungsstücken oder paramilitärisches Auftreten Gewaltbereitschaft vermittelt
Hinweis: In der Gesetzesbegründung wurden hierfür explizit weiße Maler:innen-Anzüge oder das Erscheinungsbild des schwarzen Blocks genannt. Inwiefern eine Einzelperson wirklich für eine schwarze Regenjacke verurteilt werden kann, werden kommende Gerichtsverfahren zeigen. Bis dahin definiert leider nur die Polizei, was sie „paramilitärisch“ findet.
Aus §9 Anwendbarkeit des Polizeirechts
- Im Gegensatz zu früher gilt nicht mehr die „Polizeifestigkeit“ der Versammlung, d. h. die Polizei darf Maßnahmen nach dem Polizeigesetz NRW (z.B. Platzverweise, Gewahrsamnahme, Kontrolle) auch innerhalb einer Versammlung durchführen. Voraussetzung hierfür ist allerdings wieder die „Abwehr von Gefahren“ für die „öffentliche Sicherheit“.
Aus § 7 Störungsverbot / Blockade(training)verbot
- Es ist verboten, eine Versammlung so zu stören, dass sie verhindert oder erheblich behindert werden soll. Dies bezieht sich auf (Sitz-)Blockaden und ähnliche Gegenproteste von z. B. Naziaufmärschen. NEU ist, dass nun auch Trainings bzw. die Vorbereitung solcher Störungen verboten sind, also sogenannte „Blockadetrainings“ oder „Aktionstrainings“ für zivilen Ungehorsam.
- Nicht unter das Störungsverbot fallen „kommunikative Gegenproteste“, also z.B. laute Sprechchöre auf der anderen Straßenseite, die die Versammlung nicht behindern.
Aus § 4 Name der Veranstalter*in
- Der Name der Veranstalter*in muss in der Einladung (Werbung/Aufruf) zur Versammlung angegeben werden.
Aus §12 Ordner*innen & Versammlungsleitung
- Die Versammlungsleitung muss die Personalien von Ordner*innen angeben, wenn die Behörde diese Anfordert, weil sie von einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit ausgehen.
- Versammlungsleitungen und auch Ordner*innen können von der Behörde abgelehnt werden, wenn ihr Einsatz die öffentliche Sicherheit bei der Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet.
Aus §13(1) Autobahnen
- Auf Autobahnen sind Versammlungen verboten.
Aus §21 Versammlungen auf Privateigentum
- Auf Privatgrundstücken, die dem kommunikativem Verkehr zugänglich sind, dürfen Versammlungen auch ohne Zustimmung des Eigentümers durchgeführt werden. (Das ist schon sehr lange so, stand vorher nur nicht im Gesetz sondern hat sich aus Gerichtsurteilen ergeben. Beispielsweise hat es schon Mahnwachen an RWE Aussichtspunkten gegeben, die im Eigentum von RWE sind.)
- Neu ist, dass in dem Paragrafen auch geregelt ist, dass die Interessen des Eigentümers mit den Interessen der Versammlung in Ausgleich gebracht werden sollen. Wenn dabei das Belangen des Eigentümers überwiegen, soll die Behörde einen alternativen Versammlungsort anbieten.
Aus §13(3) „Gefahr“ durch Dritte
- Wenn eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit von Dritten (also nicht Teilnehmende deiner Versammlung, sondern bspw. Gegendemonstrant:innen, pöbelnde Passant:innen) ausgeht und auch bundesweit verfügbare Polizeikräfte die Gefahr nicht abwehren können, dürfen Beschränkungen auch für die Versammlung gelten, von der die Gefahr eigentlich nicht ausgeht. Falls Leben oder Gesundheit von Personen oder Sachgüter von erheblichem Wert gefährdet sind, kann die Versammlung auch verboten oder aufgelöst werden.
Aus § 6 (4) Ausschluss von Personen
Die Versammlungsleitung darf Personen von der Versammlung ausschließen bzw. sie dieser verweisen, allerdings braucht es die Zustimmung der Behörde
Hinweise
- Eine „Versammlung“ ist laut § 2 (3) „eine örtliche Zusammenkunft von mindestens drei Personen zur gemeinschaftlichen, überwiegend auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung.“ D. h., auch wenn wir keine Versammlung angemeldet haben, kann die Polizei bestimmen, dass es sich ihrer Meinung nach um eine Versammlung handelt und entsprechend das VersG anwenden!
- Die „Veranstalter*in“ ist die Person, die die Versammlung angemeldet hat. Die „Leiter*in“ ist die Person, die die Versammlung tatsächlich vor Ort durchführt, d.h. auch eröffnet und beendet. Oft sind das beides ein und dieselbe Person, Versammlungsleitung ist jedoch übertragbar. Wenn wir (z.B. bei einer Sponti) keine Versammlungsleitung benennen, kann es sein, dass die Polizei trotzdem Personen als Leitung ansieht und ggf. strafrechtlich verfolgt. Deshalb ist es ratsam, bei (insb. nicht angemeldeten) Versammlungen nicht als „Ansprechperson“, „Redelsführer*in“ oder „Orga-Person“ aufzutreten oder sich ggf. in dieser Rolle abzuwechseln. Die Polizei braucht und sucht Hierarchien, doch wir können uns auch ohne organisieren 😉
# Überwachung:
Aus §16 Bild- und Tonaufnahmen
- Polizei darf von der Versammlung Bild- und Tonaufnahmen machen, wenn „Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit besteht“. -> Das geht allerdings auch schon nach dem neuen Polizeigesetz NRW und ist seitdem auch gängige Praxis.
- Es dürfen sowohl Übersichtsaufnahmen als auch Einzelaufnahmen gemacht werden, insbesondere zur Verfolgung oder Verhinderung von Straftaten. Eigentlich müssen diese gelöscht werden und die betroffene Person darüber informiert werden, falls sie identifiziert wurde — allerdings nur, wenn der „Verwendungszweck“ der Ausnahme (z. B. polizeiliche Ermittlungen) nicht gefährdet würde. Bei Übersichtsaufnahmen ist die Versammlungsleitung zu informieren.
Hinweise
- Grundlage für Videoüberwachung sind auch hier wieder die „Tatsachen zur Rechtfertigung der Annahme, dass eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ bestünde. Diese Tatsachen kann die Versammlungsleitung dann bei den Uniformierten erfragen, sobald Aufnahmen gemacht werden.
- Für Übersichtsaufnahmen braucht es eine „Größe und Unübersichtlichkeit“ der Versammlung. Auch hierüber kann mensch mit der Behörde diskutieren, wenngleich die Polizei immer selber entscheiden wird, was sie als zu groß oder unübersichtlich wahrnimmt.
Den ganzen Gesetzestext zum nachlesen findet ihr hier:https://recht.nrw.de/lmi/owa/br_bes_text?anw_nr=2&bes_id=47651
Das Bündnis gegen das Versammlungsgesetz, welches auch die ersten Klagen begleitet, findet ihr hier: https://www.nrw-versammlungsgesetz-stoppen.de/
Erfahrungsberichte willkommen: Da es sich um ein neues Gesetz handelt, haben wir noch nicht viele Erfahrungen wie Polizei und Justiz die Änderungen tatsächlich anwenden. Wenn ihr damit Erfahrungen macht, berichtet uns gerne darüber! Vielleich können wir im Einzelfall sogar gemeinsam dagegen klagen…?
Wie immer gilt: Unsere Solidarität gegen ihre Repressionen!
Niemensch wird allein gelassen.
euer
Rheinland EA
Kontakt: rheinlandea[ät]riseup.net, pgp-key auf Anfrage
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Anhang:
„Hard Facts“; Was bekomme ich für…?
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§ 27 Straftaten
- eine unangemeldete, ausgelöste oder verbotene Versammlung leiten oder zur Teilnahme an dieser aufrufen –> Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder Geldstrafe
- Versammlung anders durchführen (z. B. Abweichen von Demoroute) als bei Anmeldung angegeben oder Auflagen (Beschränkungen) missachten –> Freiheitsstrafe bis zu sechs Monaten oder Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen
- eine andere Versammlung behindern, blockieren, erheblich stören (nicht nur mäßig laute Gegenkundgebung, sondern Sitzblockade etc.) Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe
- Waffen (oder Gegenstände die als solche benutzt werden können) zur Demo mitbringen –> Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe
- Gewalt anwenden oder androhen gegen Versammlunsgleitung oder Ordner*innen –> Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe
- Gegenstände zur Vermummung/Identitätsverschleierung mitbringen oder an sich tragen –> Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe
- Tragen von uniformähnlicher Kleidung oder „paramilitärisches Auftreten“ –> Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder Geldstrafe
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§ 28 Ordnungswidrigkeiten
- im Prinzip alles, was bei Straftaten steht, kann alternativ auch als Ordnungswidrigkeit geahndet werden. Dann ist maximal ein Bußgeld (bis zu 1500 bzw. 3000 €) möglich, und es kommt nichts ins Führungszeugnis.
- Leiter*in/Anmelder*in gibt die von der Behörde verlangte Namen & Adressen der Ordner*innen nicht an oder setzt von der Behörde abgelehnte Personen trotzdem ein –> Bußgeld bis 1500€
- Meldeauflage missachten (d.h. die Polizei hat dir die Teilnahme an der Demo verboten und du solltest dich zum Beweis am besagten Tag im Polizeirevier xy melden) –> Bußgeld bis 3000€
- gerichtlichen Beschränkungen zuwiderhandeln –> Bußgeld bis 3000€
- Aufgelöste Versammlung nicht verlassen –> Bußgeld bis 3000€
- sich nach Ausschluss aus der Versammlung nicht entfernen oder trotz Teilnahmeverbot erscheinen Bußgeld bis 3000€
- an Versammlung im befriedeten Bannkreis um den Landtag (siehe § 20) teilnehmen oder dazu aufrufen –> Bußgeld bis 10.000€
Hinweise
- Tagessätze berechnen sich nach dem durchschnittlichen Nettoeinkommen pro Tag der Person. D.h. die Geldstrafe wir in viele kleine Häppchen aufgeteilt und die Höhe richtet sich nach dem Einkommen.
- Keine Panik: Nur weil ihr das gemacht habt, was da drin steht, heißt nicht automatisch, dass es zudieser Strafe kommt. Es können auch andere Vorwürfe kommen oder gar keine oder ihr werden nicht identifiziert oder es gibt keine Beweise oder ihr könnt beweisen, dass der Paragraph nicht passt oder oder oder …
- Repressionen sind willkürlich und unvorhersehbar. Es trifft wenige, gemeint sind wir alle. Für Betroffene gibt es finanzielle, rechtliche und psycho-soziale Unterstützungsangebote, ihr seid nicht allein!