Wie ein Ort der Ausbeutung zum Ort des Kampfes wurde
-Ein erster Bericht aus der Karawane -
Als am Tag des Wassers vor einem Jahr, dem 22.03.2021, die vereinten Bevölkerungen der Region Cholulteca in das Wasserabfüllwerk von Bonafont eindrangen, saßen die Chefs dieser Anlage gerade in einem Büro um einen Kuchen. Auf dem Kuchen stand in Schrift aus Zuckerguss „Tag des Wassers“. Die Wasserabfüllanlage pumpte seit 29 Jahren das Grundwasser in der Region ab, um es in Plastikflaschen zu verkaufen. Die Brunnen, Flüsse und Quellen der Nahua, die in der Region leben, die Erde bearbeiten und die Flüsse hüten, trugen Tag für Tag weniger Wasser. Das Wasser, das in Plastikflaschen verkauft oder zu Limonade verarbeitet wurde, fehlte den Menschen, die seit Generationen auf dieser eigentlich sehr fruchtbaren Erde zwischen den Vulkanen lebten.

Die Chefs der Anlage hatten ihre Rechnung ohne diese Menschen gemacht, als sie ihren Zuckergusskuchen bestellten. Sie hatten ihre Rechnung ohne die Selbstverständlichkeit gemacht, dass das Wasser den Menschen gehört, dass Wasser Leben ist, und dass die Nahua bereit waren sich zu organisieren und für das Wasser zu kämpfen. Die Chefs und die Arbeiter:innen verließen die Anlage, als sie von den Indigenen zurück erobert wurde. Der Kuchen blieb unberührt im Büro zurück. Seit diesem Tag wurde kein Tropfen des Wasser in Juan c. Bonilla, Puebla, Mexiko, mehr gestohlen. Die Besetzer:innen wandelten die Anlage um: In Altepelmecalli, La Casa de los Pueblos, das Haus der Bevölkerungen.
Die Pueblos Unidos hatten seit dem kaum eine ruhige Minute mehr.
Wir haben diese Anlage, diesen Ort des Todes, genommen und umgewandelt, in einen Ort des Kampfes. Nichts könnte sie mehr ärgern“, sagte eine ältere Compañera in traditioneller Kleidung. Und das Umwandeln war eine ganze Menge Arbeit. Eine Bibliothek mit 2500 Büchern über Bewegungen und Kämpfe wurde eröffnet. Autonome Bildungsprogramme wurden organisiert. Seither finden an jedem Wochenende Veranstaltungen statt, mit Gästen aus dem ganzen Land, aus der ganzen Welt. Das ist eine andere Art der Bildung. Nicht die, die uns von Oben aufgezwungen wird, die von der Regierung bestimmt wird.
so die Compañera.

Sie veranstalteten mehrere Schwitzhüttenrituale in dem ehemaligen Abfüllwerk. Landwirtschaftliche Kooperativen wurden aufgebaut. Ein Gesundheitszentrum wurde eingerichtet, zu dem Menschen mit gesundheitlichen Problemen gehen können. Ihre Vertreter:innen besuchten aber auch die umliegenden Dörfer, um Menschen auf Diabetes und Bluthochdruck zu untersuchen.
Altepelmecalli wurde zu einem Ort des Widerstands, zu einem Ort von dem aus gegen die tödlichen extraktivistischen Projekte des Kapitalismus gekämpft wird und zugleich eine andere Form des gemeinsamen Lebens aufgebaut wird.
Das alles ist nur möglich, weil sich die Bewohner:innen von über zwanzig Dörfern gemeinsam organisiert haben. Sie haben sich verbündet und begonnen gegen die kapitalistischen Firmen zu kämpfen. Bonafont ist dabei nur einer von vielen Konzernen, die in Mexiko die Umwelt und das Leben der Menschen, die von dieser Umwelt abhängen, zerstört. Auch Volkswagen produziert seit 1964 Autos in Puebla und vergiftet dabei zum Beispiel die Flüsse.
Ein Jahr nach der Besetzung des Abfüllwerkes, am 22.03.2022, gibt es eine große Pressekonferenz die auch die Aufmerksamkeit internationaler Medien auf sich gezogen hat. Es ertönen Sprechchöre wie „Wenn wir den Mund halten, wird man uns nie zuhören“.
Doch etwas stimmt nicht.
Etwas ist falsch beim Anblick auf Altepelmecalli. Die ehemalige Wasserabfüllwerk wird von einer Mannschaft hoch uniformierter, ganz in schwarz gekleideten Polizist:innen mit Pistolen bewacht. Anstatt bunter Wandbilder ist nur noch Stacheldraht zu sehen. Denn am 15. Februar 2022 wurde Altepelmecalli mitten in der Nacht von mehreren hundert Polizist:innen geräumt. Niemand weiß, wo die 2500 Bücher geblieben sind, oder die Kaninchen, Schweine und Hühner, die Teil der Landwirtschaftlichen Kooperativen waren. Doch das ist noch nicht das Ende von Altepelmecalli gewesen. Die Pressekonferenz, ein Jahr nach dem ersten Tag der Besetzung, findet auf einem Feld direkt gegenüber der ehemaligen Wasserabfüllfabrik statt. Dort wird schnell deutlich, dass an diesem Tag trotzdem ein Tag zum Feiern ist.



Denn obwohl der Ort, der dem Kampf um das Leben gewidmet war, jetzt wieder verschlossen, bewacht und wie tot da liegt, wird gefeiert, dass seit einem Jahr nach wie vor kein Tropfen Wasser mehr gestohlen wird. 590 Millionen Liter Wasser wurden vor Bonafont gerettet. Die Menschen aus den umliegenden Dörfern können den langsamen Wiederanstieg des Grundwasserspiegels beobachten. Dennoch ist auf der Pressekonferenz auch klar, dass die Kämpfe weitergehen werden. Auf dem Feld gegenüber der Anlage sind nicht nur die Menschen aus den umliegenden Dörfern gekommen. Sondern auch viele andere Pueblos Originarios, die gegen kapitalistische Zerstörung in ihren Regionen kämpfen.
Während sie reden, drängen sich Menschen mit Smartphones und großen Kameras um sie. Vertreter:innen freier Medien sind gekommen, um diesen Tag zu begleiten, die Stimmen derer zu hören, die leben, das heißt kämpfen. Es ist ein großer Tag, ein internationaler Tag. Denn eins ist allen hier klar: Die Territorien, die Konzerne, die Ressourcen, die ausgebeutet werden sollen, mögen unterschiedlich sein. Doch all diese Plünderung und Zerstörung passiert in derselben Spielart. Und nur gemeinsam können wir dieses Spiel des Kapitalismus endlich beenden. Die Pueblos Unidos de Cholulteca haben bereits einen anderen Ort gefunden, sehr nah an Altepelmecalli, an dem sie ihre Autonomie weiter aufbauen werden. Bis heute hat Bonafont die Anlage, die von den Besetzer:innen zubetoniert wurde, nicht wieder in Betrieb genommen und die Menschen in den umliegenden Dörfern machen auch klar, dass sie das nie wieder zulassen werden.
Doch erst einmal verlassen sie die Region Cholulteca. Sie wollen sich mit eben jenen anderen und doch gleichen Kämpfen verbinden und eine gemeinsame Artikulation als Dörfer im Widerstand finden. Am 22.03 begann die Karawane für das Wasser und das Leben. Sie wird über 34 Tage Orte des Widerstands gegen kapitalistische Ausbeutung besuchen, um dann gestärkt durch die Solidarität der Kämpfe in anderen Orten Mexikos und der ganzen Welt, ihren Kampf gegen Bonafont weiterzuführen. Denn sie sagen Altepelmecalli ist da, wo sie sind.
